Der Untergang der Titanic. Eine Komödie
H.M. Enzensberger
Gut 80 Jahre nach dem "aktenkundigen Untergang" der · Titanic in den eisigen Fluten des Nordatlantik und fast 1O Jahre nach der - völlig anderen - ersten Bearbeitung dieses Stoffes durch die MARBURGER THEATERWERKSTATT richtet sich das Interesse der aktuellen Inszenierung weniger auf Katastrophe, Tote und Überlebende, sondern vielmehr auf uns - die Lebenden - angesichts von Katastrophen, Toten und Überlebenden.
Aber keine Sorge, kein Zuschauer muß verzweifelt im schwarzen Wasser des Atlantik schwimmen, wir gestehen, daß auch wir vom Rettungsboot aus sprechen, wenn nicht gar von der Uferpromenade. Ebenso gestehen wir, daß unsere Sicht schlecht ist, besonders die Weitsicht, auch wenn die Welt auf die Größe einer Bildröhre geschrumpft scheint. Unsicher über unsere Erfahrung im Umgang mit Eisbergen erheben wir - möglichst gelassen - die Forderung nach "ein bißchen mehr Klarheit über die eigene Konfusion". Enzensbergers Text fest unter den Arm geklemmt, halten wir uns an den Satz aus "Der Untergang der Titanic", der da lautet: "Es gibt keine Kunst ohne das Vergnügen.•
Die Inszenierung versteht sich eher als eine mit leichter Hand entworfene Skizze, denn als fertiger Gemäldeschinken. Sie glaubt an das Theater als an einen besonderen Ort mit eigenen Gesetzen und mit eigener Lebendigkeit, voller Möglichkeiten des spielerischen Umgangs mit Zeit, Raum, Sprache, Bildern, Handlungs- und Wirklichkeitsebenen. Sie imitiert nichts, und sie hinkt nicht der verschwindenden Realität hinterher. Sie erfindet sich selbst.
Dementsprechend ist die Bühne kein Schiff, kein Eisberg, sondern einfach nur eine Bühne mit einem Stahlgerüst, zwei Monitoren, einer Videokamera, vier Mikrophonen und vier Eimern.
Die Akteure sind keine Oberdeck- oder Zwischendeckpassagiere, sondern Menschen in der Situation der Begegnung mit einem Text und seinen Atmosphären, seinem Humor, seiner Sinnlichkeit, seinem Sarkasmus, seiner Ironie, seiner Tragik. Diese Atmosphären werden in freier szenischer Kommentierung verdichtet. In den so entstehenden Theatermomenten sind Cello und Video integrale Bestandteile des Bühnengeschehens. Ebenso wie die Akteure spricht, seufzt, singt, jubelt, lacht, kommuniziert und verstummt das Cello, und die Darsteller im Video sind - ohne einen einzigen Schnitt gedreht - gleichberechtigte Spielpartner.